Das „Groupthink“-Phänomen: Vom Angriff auf die Schweinebucht zum Bahn-Streik
veröffentlicht am 21.05.2015:
„Nach fast einem Jahr Tarifkonflikt konnte mit dem Druck im 9. Arbeitskampf der Gordische Knoten durchschlagen werden“, verkündete Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), jüngst in einer Pressemitteilung. Ganz Deutschland stellt sich nun die Frage : Ist der schier unendliche Tarifkonflikt zwischen der Lokführer-Gewerkschaft und der Deutschen Bahn AG damit endlich beigelegt? Aktuell lässt sich diese Frage wohl noch nicht mit „Ja“ beantworten. In den kommenden Wochen startet ein Schlichtungsverfahren – Ausgang offen. Ob der von Weselsky angesprochene „Gordische Knoten“ also tatäschlich durchschlagen worden ist, wird sich erst noch zeigen. Stand heute ist nur eines sicher: Bis zum Ende des Schlichtungsverfahrens können die Bahnreisenden wieder uneingeschränkt das öffentliche Verkehrsmittel nutzen.
Wirft man einen Blick auf die aktuellen Pressemitteilungen der beiden Streitparteien, so erscheint der Grad an Konsens überschaubar. In einer persönlichen Erklärung sagt Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber: „Wir gehen in diese Schlichtung so, wie wir bisher auch verhandelt haben: Ohne Vorbedingungen. Wir bleiben dabei, dass es keine Mitarbeiter erster und zweiter Klasse geben darf.“ In einer GDL-Pressemitteilung heißt es dagegen: „Die Parteien haben sich auf die tariflichen Grundlagen für einen Flächentarifvertrag für das Zugpersonal und gleichzeitig auch auf ein Schlichtungsverfahren geeinigt. Zuvor hat die DB akzeptiert, dass die Tarifverträge anderer Gewerkschaften für die Annahme eines Schlichtungsspruches oder den Abschluss eines Tarifvertrags keine Rolle spielen. Dieser Sachverhalt wird deshalb nicht mehr Bestandteil des eigentlichen Schlichtungsverfahrens sein. Die GDL kann somit für all ihre Mitglieder des Zugpersonals in den DB-Eisenbahnverkehrsunternehmen die Tarifverträge verhandeln und abschließen.“ Diese Statements erwecken jedenfalls nicht den Eindruck, als wäre ein „Gordischer Knoten“ endgültig und nachhaltig durchschlagen worden. Da überrascht es nicht, dass Weber in seiner persönlichen Erklärung unterstreicht: „Eine Gesamtschlichtung ist noch kein endgültiger Durchbruch, aber nun haben wir eine echte Chance uns zu verständigen.“
„Verständigung“ dürfte in den Schlichtungsgesprächen das entscheidende Stichwort sein. In Anbtracht der unzähligen gescheiterten Verhandlungen in den zurückliegenen Wochen und Monaten hat es offensichtlich genau daran gefehlt. Details zu den Verhandlungen sind jedoch nicht transparent genug, um sich darüber eine abschließende Meinung zu bilden. Das lässt Raum für Spekulationen. An dieser Stelle möchte ich nun ansetzen und dafür in Kurzform eine Anekdote aus dem Leben des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy wiedergeben:
Kennedy versuchte im Jahr 1961 mit seiner Regierung, einem auserlesenen Kreis aus Beratern, Militärs und Politikern, eine Invasion auf Kuba. Durch einen Vormarsch von der „Schweinebucht“ aus sollte Machtinhaber Fidel Castro zu Fall gebracht werden. Fehlkalkulationen und mangelnde Planung ließen die Mission jedoch kläglich scheitern. Vier Jahre später entschuldigt sich ein Kenneday-Berater, Arthur Schlesinger Junior: „für mein Schweigen bei jener entscheidenden Diskussion im Kabinettsraum, obgleich meine Schuldgefühle durch das Wissen gemelidert wurden, dass mir meine Einwände nicht erspart hätten, in den Ruf eines Nörlers und Quertreibers zu kommen. Ich kann meinen Fehler, nicht mehr getan zu haben, als nur ein paar ängstliche Fragen aufzuwerfen, lediglich dadurch erklären, dass jeder Impuls, diesem Unsinn Einhalt zu gebieten, durch die Umstände der Diskussion einfach zu nichte gemacht wurde.“
Der Sozialpsychologe Irving Janis entwickelte nach Auswertung der historischen Daten das Konzept des „Groupthink“, zu Deutsch „Gruppendenken“. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, bei dem Mitglieder einer Gruppe dazu verführt werden, ihre eigene abweichende Meinung hinten anzustellen und stattdessen gänzlich im Interesse eines Gruppenkonsens zu arbeiten. „Groupthink“ wird laut Janis durch folgende Faktoren verursacht: Es gibt eine geschlossene Gruppe von Entscheidern, die Gruppe ist isoliert von äußeren Einflüssen, es gibt kein systemisches Verfahren für die Berücksichtigung des Für und Wider, es gibt einen direktiven Leiter und die Grupppe steht unter starkem Stress. „Groupthink“ führt laut Jenis zu folgenden Symptomen: Gemeinsame Illusion der Unverletzbarkeit, direkter Druck auf Abweichler, Selbstzäsur, kollektive Rationalisierung von Entscheidungen ohne realistische Überprüfung der Stärken und Schwächen.
Überträgt man dieses Modell auf den Streit zwischen GDL und Bahn, so erscheint es mir durchaus möglich, als eigne „Groupthink“ zumindest in Ansätzen als mögliche Erklärung für die verhärteten Fronten zwischen den beiden zuständingen Entscheidungsgremien. Aufgrund der realtiv unbekannten Faktenlage ist eine nähere Untersuchung leider nicht möglich. Wer sich aber an die öffentlichen Aussagen beider Parteien zurückerinnert, dem dürften die Nähe zu Ursache-Faktoren und Symptomen des „Groupthink“ durchaus in den Sinn kommen.
An dieser Stelle möchte ich aber auch nicht verschweigen, dass dieses sozialpsychologie Konzept aufgrund von mangelnder Empirie in der Wissenschaft umstritten ist. Janis Theorien wurden deshalb im Laufe der Zeit immer wieder reformuliert. Da ist es sich in diesem Blog nur um meine ganz subjektive Sicht der Dinge handelt, kann ich das „Groupthink-Phänomen“ guten Gewissens mit dem aktuellen Konflikt verknüpfen. Bleibt abschließend nur zu hoffen, dass die Schlichtung erfoglreich sein wird und sich der „Gordische Knoten“ tatsächlich endlich löst.
